Als ich die obligatorische Schulzeit hinter mir hatte, das war in den 90ern, hiess es, wir hätten eine Lehrstellenkrise, da es viel zu wenig Lehrstellen gab und zahlreiche Jugendliche Schwierigkeiten hatten, nach der obligatorischen Schule eine Anschlusslösung zu finden.
Heute ist es genau umgekehrt: In den allermeisten Branchen klagen die Unternehmen über einen (teilweise gravierenden) Nachwuchsmangel und haben Mühe, ihre Lehrstellen mit qualifizierten Lernenden zu besetzen.
Doch welches sind die Gründe dafür? In der Folge möchte ich drei davon näher beleuchten:
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«Akademisierung»
Selbstverständlich sind es immer verschiedene Faktoren, welche den Entscheid für oder gegen eine Ausbildungsart ausmachen. Es ist allerdings ebenso eine Tatsache, dass die Jugendlichen sich vermehrt allgemeinbildenden Ausbildungen (Mittelschulen etc.) zuwenden. Dies hat mit einem generellen gesellschaftlichen Trend zu tun. Hier sei nur daran erinnert, dass die Schweiz sich seit vielen Jahren schon in eine Dienstleistungsgesellschaft entwickelt – und diese Entwicklung wird nach heutiger Einschätzung nicht abnehmen. Ein weiterer Grund für die sogenannte «Akademisierung» ist, dass die jungen Menschen (und als Beeinflusser noch wichtiger: die Eltern) die künftigen Perspektiven im Auge haben und dann den (falschen) Schluss ziehen, dass mehr Chancen hat, wer im Büro arbeitet oder eine Mittelschule besucht anstelle eine handwerkliche Ausbildung abschliesst. Der Umstand, dass es auch mit einer Berufslehre im technischen Bereich zahlreiche Aufstiegsmöglichkeiten gibt, ist offenbar nicht so bekannt. Die Aufklärungsarbeit liegt an uns.
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Bevölkerungsentwicklung
In den letzten Jahren sind immer weniger Schülerinnen und Schüler nach der obligatorischen Schule in den Arbeitsmarkt gelangt. Das bedeutet, dass die Anzahl Menschen in der Zielgruppe immer kleiner geworden ist (die Anzahl Lehrstellen hat in der gleichen Zeit nicht merklich abgenommen). Glücklicherweise scheinen wir gemäss BFS-Statistik die Talsohle erreicht zu haben: Seit 2019 sollten wieder mehr Jugendliche eine Anschlusslösung nach der Sekundarstufe I suchen. Wir haben dies im Laufe der Rekrutierung 2019 noch nicht gespürt. Aber: «In wenigen Jahren erreichen die Schülerzahlen einen historischen Höchststand; einzelne Kantone rechnen mit einem Wachstum von gegen 20 Prozent bis 2025.» (Beobachter, 24.10.2019) Es bleibt also abzuwarten, ob sich aus dieser Entwicklung Auswirkungen auf den Rekrutierungserfolg ergeben – und vor allem wie sich die Prognosen überhaupt entwickeln. Ich bin zuversichtlich.
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Berufsimage
Man kann es nicht verleugnen, das Image der Automobil-Branche hat in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen gelitten (Umweltbelastung, Dieselskandal). Und mit ihr folglich auch die damit einhergehenden Berufsbilder. Ölverdreckt und gesundheitlich angeschlagen – so stellt man sich den ehemaligen «Automechen» vor. Dabei entspricht das tradierte Bild schon länger nicht mehr der Realität. Klar, mit den Händen anpacken muss man immer noch. Aber heute ist der Automobil-Mechatroniker ein Spezialist und versiert mit verschiedenen elektronischen Arbeitsinstrumenten und damit der Beweis, dass sich das Berufsbild den Anforderungen der Zeit angepasst hat. Ebensolches gilt auch für die Carrosserieberufe. Es ist uns ein Anliegen, die Berufe in Zusammenarbeit mit den Verbänden wieder mehr zu profilieren und vor allem positiv zu positionieren. Es reicht eben nicht, «fancy» Marketing zu schalten. Viel wichtiger sind die Entwicklung und Gestaltung einer nachhaltigen Perspektive für die Mitarbeitenden; und immer wieder hören wir, dass der Umgang in der Werkstatt «eben ein bisschen rauer» sei. Dabei geht leider oft vergessen, dass die heutige Jugend dies nicht mehr toleriert – eine Tatsache, ob sie uns lieb ist oder nicht. Es ist eine Frage der Kultur. Tolle Marketingaktivitäten sind dann eben keine Ursache für den Rekrutierungs- und Ausbildungserfolg, sondern eine Folge!
Vor diesem Hintergrund darf ich – und dies durchaus auch mit Stolz – sagen, dass wir es wie in den Vorjahren auch 2019 geschafft haben, über 90% der Lehrstellen besetzen zu können. Dies verdanken wir der guten Zusammenarbeit zwischen der Berufsbildung (HR) und den Beteiligten in der Linie.
Aber es gilt nicht nur, die Lehrstellen zu besetzen, sondern die «richtigen» Lernenden in der richtigen Anzahl zu finden. «Unpassende Lernende», mit welchen nach kurzer Zeit der Lehrvertrag aufgelöst werden muss, erzeugen denn auch vielmehr Aufwand als sie Ertrag erbringen. Ausserdem erhält die Laufbahn eines solchen Jugendlichen bereits einen ersten Bruch, welchen die Gesellschaft später wieder beheben muss.
Wie haben wir diese 90% nun geschafft? In erster Linie war es das Engagement der Beteiligten, die auch bei ausbleibenden Bewerbungen den Mut nicht verloren. Die Rekrutierungsperiode beginnt jeweils im August und sie endet – zurecht – erst im Monat vor Lehrbeginn. Es sind durchaus auch einige Perlen auf dem Jugendarbeitsmarkt, unter Umständen sind diese einfach noch nicht geschliffen.
Wir haben natürlich aber auch einige konkrete Massnahmen in Angriff genommen:
- Seit einiger Zeit haben wir die Laufbahnzentren als strategische Zielgruppe eruiert. Diese haben nämlich – gemäss Statistik des SBFI neben den Eltern (92%), Lehrpersonen (56%) und Peers (43%) – einen wichtigen Einfluss bei der Berufswahl der Jugendlichen (47%). Jedes BIZ in der Schweiz hat von uns einen Flyer mit Hinweisen auf freie Lehrstellen erhalten. Ein weiterer Schritt wird sein, die Berufsberater direkt in die Betriebe einzuladen, um unsere mannigfaltigen Berufe kennen zu lernen (was wir punktuell bereits machen).
- Mit gezielten, ressourcenabgestimmten Werbemassnahmen haben wir die AMAG als Ausbildungsbetrieb profiliert (Messen, Inserate, PR etc.). Dies ist in der Schweiz mit ihren vielen regionalen Eigenständigkeiten keine einfache Aufgabe.
- Ein ebenso wichtiger Erfolgsfaktor ist allerdings auch die regionale wie lokale Vernetzung, welche Aufgabe der jeweiligen Betriebe ist. Es hängt eben viel davon ab, ob der Lehrbetrieb fruchtbaren Kontakt zu den lokalen Stakeholdern hält, z.B. Gewerbevereinen, Sekundarschulen etc.
Letztlich nützt es nichts, wenn man mit teuren Marketingmassnahmen versucht, junge Menschen für eine Lehre bei uns zu motivieren, diese in der Ausbildung aber – worst case – nicht das antreffen, was sie erwartet haben. Diese Enttäuschung wirkt nach!
Deshalb sind aus meiner Warte folgende Faktoren entscheidend für die Wahl der Schülerinnen und Schüler für einen Lehrbetrieb:
- Kultur und persönliche Betreuung: Der persönliche Kontakt zum künftigen Berufsbildenden ist für junge Menschen sehr wichtig. Und ein angenehmes und respektvolles Klima im Betrieb ist kein nice to have, sondern eine absolute Bedingung (siehe oben). In der Lehrlingsmarkt Schweiz Trendstudie 2019 von Prof. Dr. Christoph Beck wurde folgende Frage gestellt: «Sage uns bitte noch, wie sollte Deiner Meinung nach die/der perfekte Berufsbildner/in sein. Beschreibe sie/ihn bitte mit einem Wort». Nicht verwunderlich, wurden folgende Attribute genannt: hilfsbereit, freundlich, nett, verständnisvoll, unterstützend, sympathisch.
- Sinnstiftung: Heute möchte man verstehen, weshalb man eine Arbeit verrichtet, egal wie diese aussieht. Wichtig wird deshalb, den Mitarbeitenden das grosse Ganze näher zu bringen.
- Zukunftsperspektiven: Nicht jeder kann Chef werden, aber dazwischen bleiben noch viele Optionen – diese müssen transparent aufgezeigt und Aufstiegschancen ermöglicht werden. Hier ist erstaunlich, wie die jungen Menschen bereits einen Blick auf die künftige Lohnentwicklung werfen und entsprechend ihren Lehrberuf und -betrieb wählen. Der künftige Lernendenlohn wird demgegenüber aber nicht als entscheidend erachtet, wie eine Umfrage von Yousty ergab.
- Employer Branding: Die besten Botschafter eines Unternehmens sind die Mitarbeitenden (und Lernenden) selbst. Diese sollten im Sinne eines integralen Employer Brandings auch als solches eingesetzt werden.
Ihr seht: Es bleibt für alle noch viel zu tun.
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