Herr Hug, stecken die Lehrberufe des Carrossier Spenglerei und Lackiererei (früher Autospengler und Autolackierer) in der Krise? 

Rolf Hug: Es ist tatsächlich so, dass die Anzahl der Lernenden in beiden Berufen tendenziell rückläufig ist. Bei den Schulabgängern höheren Niveaus ist bekanntlich ein allgemeiner Trend in Richtung akademischer Ausbildung festzustellen.  Immer weniger der hoch talentierten Schüler möchten eine handwerkliche Berufslehre beginnen. Dass die Berufe in der Krise stecken, kann man allerdings nicht sagen. Im Gegenteil: die Berufe werden immer wichtiger.

Heutzutage hat man an einer Berufsmesse die Auswahl von 250 Berufsausbildungen. Als ich noch jünger war gab es vielleicht deren 30.

In dem Fall besteht das Problem also auch bei anderen handwerklichen Autoberufen wie zum Beispiel dem Automobil-Mechatroniker (früher Automechaniker)? 

Andreas Billeter: Die Berufe kann man nur schwer miteinander vergleichen. Wir haben beim Automobil-Mechatroniker aber ein ähnliches Problem, jedoch vor allem wegen der Akademisierung des Berufsbildes. Bei den Carrosserie-Berufen besteht das Problem auch darin, dass die Berufe wegen der grossen Auswahl an Berufsausbildungen leider etwas in Vergessenheit geraten sind. Heutzutage hat man an einer Berufsmesse die Auswahl von 250 Berufsausbildungen. Als ich noch jünger war gab es vielleicht deren 30.

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Berufe mit viel Potential: Geschäftsführer Rolf Hug über die Zukunft der Carrossier Lackiererei und Spenglerei

Trotzdem gewinnen die Berufe in der Autobranche laufend an Bedeutung. Wieso ist das so? 

Rolf Hug: Wie bereits erwähnt leidet die Branche darunter, dass zu wenige eine handwerkliche Lehre beginnen möchten. Im gleichen Zug werden immer mehr Neuwagen verkauft und immatrikuliert, wodurch sich auch die Nachfrage nach Reparaturen laufend erhöht. Daraus resultiert ein grosser Mangel an qualifiziertem Fachpersonal. Die Branche sucht dringend nach Nachwuchs, denn die Lücke wird wohl in nächster Zukunft nicht kleiner werden.

Moderne Fahrzeuge werden immer komplexer gebaut. Wird dadurch das Berufsbild im Carrosserie-Bereich auch anspruchsvoller?

 Andreas Billeter: Das Berufsbild ist definitiv anspruchsvoller geworden. Heutzutage muss sich ein Carrossier Spenglerei zum Beispiel auch in elektronischen Belangen auskennen um seinen Beruf ausüben zu können. Die Lehre als Carrossier Lackiererei ist von drei auf vier Jahre verlängert worden, um den Ansprüchen der Branche gerecht werden zu können. Die handwerklichen Berufe werden also immer kopflastiger und gleichzeitig streben Schulabgänger mit höherem Bildungsniveau, die wir eigentlich brauchen, keine Lehre an.

Rolf Hug: Sie sagen es: die Arbeiten werden immer komplexer. Früher hat man zum Beispiel einen Kotflügel ausgebeult, wo man ihn heute ersetzt. Dabei muss man jetzt den Scheinwerfer ebenfalls demontieren, wonach man ihn dann wieder mit dem Diagnosegerät justieren muss. Die elektronische Perspektive wird immer wichtiger, ist anspruchsvoll und muss darum auch schulisch stärker gewichtet werden.

Andreas Billeter: Was sicher auch nicht unterschätzt werden darf ist, dass in den Berufen äusserst exakt gearbeitet werden muss. Wir reden heute schon fast von einem Kunsthandwerk, welches direkt der Kundenkritik ausgesetzt ist. Denn dieser sieht schon aus grosser Entfernung, wenn an der Karrosserie der Farbton nicht ganz genau getroffen worden ist oder wenn das Spaltmass nicht stimmt. Das ist faszinierend und eine gewaltige Herausforderung. Ist der Kunde nicht zufrieden, bezahlt er nicht für die Arbeit. So einfach ist es.

Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten in den Carrosserie-Berufen werden noch kaum erkannt.

Wieso können sich trotz guten Zukunftsaussichten und interessantem Tätigkeitsfeld immer weniger junge Leute für diese Berufe begeistern?

Rolf Hug: Die handwerkliche Berufslehre ist in den Köpfen der Leute im Vergleich zum akademischen Weg einfach nicht attraktiv genug. Hinzu kommt der Einfluss von Eltern, Lehrern und Berufsberater, welche den Schulabgängern aus höheren Niveaus die Berufslehre nicht schmackhaft machen. Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten in den Carrosserie-Berufen werden noch kaum erkannt. Hier besteht definitiv Bedarf nach Aufklärung, denn auch in unserem Bereich kann man sich zum Beispiel an einer Fachhochschule bis hin zum Master weiterbilden.

Andreas Billeter: Ich glaube bisher herrschte im Carrosserie-Bereich schon eher Knappheit an Weiterbildungsangeboten. Dies hat der Schweizer Carrosserieverband VSCI nun jedoch erkannt und schafft vermehrt Ausbildungsmöglichkeiten.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Andreas Billeter: Ganz neu ist die Berufsprüfung als Werkstattkoordinator. Ein Fachausweis (BP – Berufsprüfung), den es in dieser Art bisher nicht gegeben hat. Anschliessend kann man die ordentliche Meisterprüfung (HFP – Höhere Fachprüfung) absolvieren. Dies ist der klassische Weiterbildungsweg im Handwerk, der via Passerellen und Durchlässigkeiten die Möglichkeiten für akademische Weiterbildungen wie Bachelor- und Masterstudiengängen offen lässt.

Welche Rolle spielt das Klischee eines eher schmutzigen Berufs, bei dem man ungeschützt Feinstaub ausgesetzt ist, beim Entscheid gegen eine Berufslehre im Carrosserie-Bereich?

Rolf Hug: Das Klischee kommt noch von anno dazumal, als man wirklich von morgens bis abends im dunkeln Keller sass und bei der Arbeit dreckig wurde. Heute brauchen wir in den Werkstätten nachempfundenes Tageslicht und tragen Schutzausrüstung wenn wir lackieren. Die Fahrzeugteile sind ja auch sehr empfindlich und müssen hoch professionell behandelt werden.

Andreas Billeter: Ein eindrückliches Beispiel: Früher wurde mit Verdünnern lackiert, welchen man damals den ganzen Tag ausgesetzt war. Das war natürlich sehr ungesund. Heute arbeitet man hauptsächlich wasserbasiert und ist bei der Arbeit  geschützt. Wir reden hier also von sauberen Berufen, die keine Gefahr für die Gesundheit mehr darstellen.

Könnte auch der Lohn eine Hemmschwelle sein, um in diesen Bereichen eine Lehre zu beginnen?

Andreas Billeter: Wenn man die Lehrlingslöhne mit jenen anderer Berufszweige vergleicht, kann das nicht wirklich ein Hindernis sein. Der Lohn spielt bei der Berufswahl auch noch keine prioritäre Rolle. Entscheidend sind die Weiterbildungsmöglichkeiten, denn niemand will auf dem Mindestlohn sitzen bleiben. Die Möglichkeiten für eine Weiterbildung sind, wie bereits gesagt, auch in unserem Bereich ausgebaut worden. Wer will, der kommt weiter.

Autospengler

Filigrane Arbeit. Der Carrossier Spenglerei muss sich heute auch gut mit elektronischen Belangen auskennen.

Welche beruflichen Perspektiven können sich einem durch eine Ausbildung im Carrossier-Bereich eröffnen?

Rolf Hug: Da bieten sich neben der Spezialisierung im erlernten Beruf viele weitere Möglichkeiten. Meist handelt es sich dabei natürlich um berufsverwandte Bereiche wie zum Beispiel eine Anstellung als Schadensexperte oder als Mitarbeiter im Schadensmanagement bei Versicherungen oder als Motorfahrzeugkontrolleur beim Strassenverkehrsamt. Bei diesen Berufen muss man sich natürlich entsprechend weiterbilden. Vor Kurzem habe ich einen ehemaligen Lehrabgänger getroffen, der nun in der Medizinaltechnik neue Geräte mitentwickelt. Dabei profitiert er heute noch von seinem Wissen in Bezug auf Formen und Materialien, welches er in seiner Lehre als Carrossier Spenglerei mitgenommen hat.

Andreas Billeter: Auch im Bereich der Spezial- und Sonderaufbauten wie Feuerwehrautos, Krankenwagen oder Anhänger kann man sich weiterbilden und eine Tätigkeit als Spezialist anstreben. Oder man kann in die Flugindustrie gehen, die ebenfalls auf Fachkräfte aus dem Carrosserie-Bereich angewiesen ist. Auch ein Flugzeug muss lackiert, auch ein Helikopter muss instand gestellt werden.

Herr Hug können Sie an Ihrem Beispiel beschreiben, wie eine Karriere im Carrosserie-Bereich aussehen kann?

Ich habe ursprünglich Carrossier Spenglerei gelernt und mich anschliessend kaufmännisch weitergebildet. Parallel dazu durfte ich im In- und Ausland Berufserfahrung sammeln. Zwischenzeitlich habe ich im Innendienst einer Versicherung gearbeitet, was mir die Perspektive der Schadensabwicklung eröffnet hat. Heute bin ich Geschäftsführer eines Carrosserie-Betriebs mit knapp 30 Mitarbeitenden.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der beiden Berufe?

Andreas Billeter: Sehr gut die Arbeit im Carrosserie-Bereich wird nie ausgehen. Solange wir mobil sein möchten, wird dazu wohl auch immer eine Karrosserie gehören, die professionell repariert werden will. Die möglicherweise lebensbedrohlichen Auswirkungen einer nicht fachgerecht reparierten Karrosserie haben wir ja vor Kurzem auf dem AMAG Blog erläutert. Der Sicherheitsaspekt der ausgeführten Arbeit wird in Zukunft sicher noch stärker gewichtet werden.

Rolf Hug: Zudem werden in Zukunft neue Materialien wie Karbon dazu führen, dass sich unser Berufsbild ständig weiterentwickeln muss. Auch neue Technologien wie die Hybrid- oder Elektrotechnologie bergen zukünftige Herausforderungen und erfordern einen ständig aktualisierten Wissensstand. Ich meine unser Berufsfeld hat ein grosses Zukunftspotential. Nun wird es Zeit, dass wir den Fachkräftemangel beseitigen

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

 

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