Bubenträume. Jeder kennt sie, jeder hat sie und heute geht einer meiner Bubenträume in Erfüllung. Es ist ein Donnerstagmorgen. Die AMAG Zug begrüsst mich zu einem zweitägigen Werkstatt-Praktikum. Ist meine Vermutung richtig, dass die Anerkennung des Automobil-Handwerks viel zu tief ist und wie funktioniert ein Grossbetrieb wie die AMAG Zug? Das und mehr will ich mir genauer anschauen.
Eingekleidet in einer AMAG-Latzhose und ausgerüstet mit Stahlkappen-Sicherheitsschuhen geht es los. Unsere erste Aufgabe: Ein Zahnriemen will ersetzt werden. Obwohl der Patient – ein VW Passat – schon einige Jahre und Kilometer auf seinem Buckel hat, ist die Vorarbeit gross. Viele Teile müssen entfernt werden, damit wir den Zahnriemen entfernen können. Die Schrauben und Halterungen im Motorraum sitzen jeweils unterschiedlich fest, einige Halter sind dagegen trocken und brüchig.
Es braucht also jede Menge Fachkenntnisse über das Automobil-Handwerk, um nur das auszubauen, was wirklich nötig ist. Und dazu noch unfassbar viel Fingerspitzengefühl, um die teilweise festsitzenden Teile nicht zu beschädigen. All das natürlich immer mit der «Sollzeit» im Rücken, also die Zeitangabe, die vorgegeben wird, um diese Arbeit zu erledigen. Daran wird später auch die Produktivität des Mechanikers gemessen.
Die AMAG Zug hat als Grossbetrieb und als offizieller Markenpartner jede Menge Spezialwerkzeug, welches Arbeitsschritte erleichtert, materialschonender agiert oder besondere Passformen für die Marken des Volkswagen Konzerns aufweist. Das ist tatsächlich sehr hilfreich, wie mir nach diversen Einsätzen rund um unseren neuen Zahnriemen klar wird. Ich frage mich, was Werkstätten tun, die ohne auskommen müssen.
Wir bauen den Passat mit neuem Zahnriemen wieder zusammen und ich montiere schlussendlich die Räder und ziehe sie mit dem Schlagschrauber an. Nach einigen weiteren Arbeitsschritten wird das Fahrzeug wieder auf den Boden abgelassen und ich ziehe jede Radschraube nochmals mit dem Drehmomentschlüssel fest. Der Mechaniker, dem ich über die Schultern schauen darf, meint dazu: «Das ist sehr wichtig, daran hängen Menschenleben.» – Eine wichtige Feststellung. Der «Automech» hat eine weit höhere Verantwortung als man denkt. Macht er Fehler, kann das Fahrzeug einen technischen Defekt nach sich ziehen, was eventuell in einem Unfall mit Personenschaden enden kann.
Ich wechsle die Werkstatt innerhalb des Betriebes. Von VW zu Audi. Neue Marke, selbe Passion. Der Werkstattleiter führt mich herum. An einem Q5 wird mit einem Video-Endoskop gearbeitet, um eine Analyse durchführen zu können, ohne aufwendige und teure Demontage.
An einem RS 4 Avant wird mit dem Diagnose- und Testgerät der Fehlerspeicher ausgelesen. Bei einem Q7 wird beanstandet, dass der Türöffnungsmechanismus unter gewissen Bedingungen quietscht.
Unsere Aufgabe ist es, Vibrationen an einem SQ5 zu beseitigen. Der Fehlerspeicher und die Expertise des Mechanikers lassen auf ein fehlerhaftes Motorlager schliessen. Somit ist es unsere Aufgabe, nun beide Motorlager zu ersetzen. Der SQ5 ist neuer, moderner als der VW Passat, dazu noch ein Sechszylinder, somit ist es Motorraum nochmals deutlich enger. Der Ausbau erfordert Tetris-Fähigkeiten, um keine der delikaten Sensoren und Kabel falsch zu biegen oder zu beschädigen.
Mir wurde nach diesen Tagen in der Werkstatt klar: Dem Automobil-Handwerk, für mich wunderbaren Handwerk, fehlt Visibilität und Anerkennung. Denkt man an einen Barista, einen Starkoch, einen Uhrmacher oder sogar einen Barkeeper, dürfen diese ihr Handwerk vor ihren Kunden ausüben und werden dafür mit viel Anerkennung belohnt. Beim Autogewerbe wurde der Mechaniker immer mehr in den Hintergrund gedrängt, während gleichermassen die Anforderungen und die Verantwortung stets steigen. Der Kundendienstberater ist die Schnittstelle zum Kunden, während der Mechaniker im Hintergrund bleibt. Meines Erachtens ist das eine Entwicklung in die falsche Richtung und könnte in Zukunft für ein Image- und Nachwuchsproblem sorgen.
Um dem entgegenzuwirken, ist die AMAG sehr fokussiert auf die Ausbildung junger Berufsleute. Mit über 700 Lernenden (rund 11% aller Mitarbeitenden) ist die AMAG eine der grössten Ausbildungsstätten der Schweiz. Die AMAG bietet zwölf verschiedene Lehrberufe an – vom Carrosseriespengler über die Automobil-Mechatronikerin bis hin zum Kaufmann oder zur Kauffrau.
Janic, Lernender in seinen letzten Wochen des ersten Lehrjahres, schwärmt von der AMAG und besonders von seiner Zeit in der Audi Werkstatt. Man merkt im Gespräch schnell, wie in ihm die Passion für Fahrzeuge entflammt ist und er gerne Teil des so wichtigen Autogewerbe-Nachwuchses ist.
So gehen zwei ereignisreiche Tage zu Ende. Für mich, als passionierter Autofahrer und Autoblogger, der aber handwerklich zwei «linke» Hände hat, ging ein Kindheitstraum in Erfüllung und gleichermassen wünsche ich mir auch mehr Anerkennung des Automobil-Handwerks.