Die Berufslehre ist seit Jahrzehnten ein erfolgreiches Modell in der Schweiz. Immer mehr Schülerinnen und Schüler wählen heute aber den Weg über das Gymnasium und studieren an der Universität. Wie schafft es die AMAG, weiterhin alle Lehrstellen zu besetzen?
Dusan Milakovic: Es stimmt, dass immer mehr Junge den Weg über das Gymnasium nehmen. Dies ist bedauerlicherweise ein schweizweites und gesamtgesellschaftliches Phänomen. Mir scheint, dass es vor allem damit zu tun hat, dass wenig Kenntnis, vor allem von Zugewanderten, über die Berufe und die potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten vorhanden ist. Insbesondere im internationalen Kontext stellt die starke Stellung der Berufsbildung in der Schweiz eine Besonderheit dar. Fakt ist, dass immer mehr Lehrstellen unbesetzt bleiben. Auch wir kennen in einigen Berufen das Problem, so beispielsweise in den Carrosserieberufen.
Schwarzmalen sollte man deshalb aber nicht. Stand heute haben wir 80 Prozent unserer offenen Lehrstellen besetzt. Bei insgesamt 250 Lehrstellen pro Jahr ist die Quote gut. Allgemein haben wir in der Schweiz sehr stabile Zahlen, auch wenn seit einigen Jahren das Angebot an Lehrstellen die Nachfrage übersteigt. Aber erinnern wir uns: Vor nicht wenigen Jahren gab es in der Schweiz zu wenig Lehrstellen. Ich denke, das Pendel wird wieder in die andere Richtung schwingen. Generell gesagt: Rund zwei Drittel der Jungen machen immer noch eine Lehre, die Schweiz ist mit der dualen Bildung seit vielen Jahren sehr erfolgreich unterwegs. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Weshalb haben gerade die Carrosserieberufe einen eher schlechten Ruf bei den Jungen?
Ein grosser Teil der angehenden Lernenden möchte mehr am Computer oder mit Menschen arbeiten. Das widerspiegelt sich in der Gesellschaft. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft, daher arbeiten auch rund 75 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Dennoch bin ich überzeugt, dass sich Angebot und Nachfrage auch in diesem Bereich wieder finden werden. Dafür muss man aber auch etwas tun.
Wie wollen du und dein Team diese Berufe attraktiver machen?
Wir wollen für unser gesamtes Lehrstellenangebot das Marketing professionalisieren, die Berufe besser positionieren und veraltete Vorstellungen zu Berufen beseitigen. Beim Carrosseriespengler z.B. gehört die Arbeit am Computer heute zum Alltag. Darüber hinaus benötigt man ein hohes Mass an Exaktheit und Formensinn. Unsere Aufgabe ist es, diese positiven Attribute in die Köpfe der jungen Menschen zu bringen.
Offene Lehrstellen und Schnupperlehren
Die AMAG den «nationalen Bildungspreis» gewonnen. Es läuft also alles bestens. Weshalb muss man nun intensiver für die Berufe werben?
Es wird tolle Arbeit geleistet in unserer Berufsausbildung. Wir dürfen uns aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Der Preis ist zugleich Auszeichnung für die geleistete Arbeit und Verpflichtung, der Berufsbildung Sorge zu tragen und sie weiterzuentwickeln. Mit dem Preisgeld lancieren wir nun verschiedene Projekte, wobei die zentrale Frage lautet: Wie können wir die Jugendlichen für eine technische Berufslehre begeistern? Zwei Berührungspunkte scheinen uns besonders wichtig: die Eltern bzw. die Familienmitglieder und die Schulen bzw. die Lehrer. Sie beeinflussen die Berufswahl enorm. Wenn wir einen guten Kontakt zu den Schulen haben, finden wir direkten Zugang zu unserer Zielgruppe, den Schülerinnen und Schülern.
Mit dem Lehrstellen Navi haben wir bereits eine attraktive App, mit der sich die Schülerinnen und Schüler über unsere Berufe informieren können. Ausserdem haben wir gemerkt, dass der Berufserkundungstag – ebenfalls oft in der Schule initiiert – einen der wichtigsten Berührungspunkte zwischen dem Unternehmen und dem potenziellen Bewerber darstellt.
Du willst also den Schülerinnen und Schülern die AMAG im direkten Kontakt vorstellen?
Ja. Die Nähe zu den Schülerinnen und Schülern ist wichtig. Dazu wollen wir auch die Mitarbeitenden und Lernenden stärker involvieren. Eine Idee ist zum Beispiel, dass Erst und Zweitjahrlernende einen Schnuppertag organisieren könnten. Sie sind den Schülern am nächsten und verstehen am besten, was diese interessiert und bewegt. Oder wir gehen direkt in die Schulen: Wir verfolgen viele innovative Ideen: Sechs Lernende der AMAG Kloten haben einen alten VW T3 zum «Schnuppibus» verwandelt. Schülerinnen und Schüler können sich an unseren Anlässen im knalligen Bus zum Lehrstellenangebot der AMAG informieren.
Wir befinden uns in einem rasanten technologischen Wandel. Ist unsere Lehre bereit für die Zukunft? Bereitet die Lehre unsere angehenden Profis auf die Zukunft vor?
Ich denke schon. Wobei die Ausbildung der Technologie natürlich immer hinterherhängt. Dies hat mit der Behäbigkeit des Berufsbildungssystems zu tun. Viele Berufe werden sich mit der Digitalisierung und den neuen Technologien verändern. In einem Auto steckt bekannterweise ja immer mehr Elektronik – und in den kommenden Jahren vor allem auch neue Elektroantriebe. Auch in Zukunft wird man diese Fahrzeuge reparieren und warten müssen, es braucht einfach neue Fähigkeiten, die man z.B. in Weiterbildungen lernen muss. Es liegt also auch an uns, die fehlenden Bestandteile der Grundausbildung, wo nötig, nachzuliefern – und diese anzupassen. Darum muss die AMAG ihr Gewicht im Verband einsetzen und ihre Bedürfnisse in Fragen der Berufsbildung einbringen. Die neuen Technologien fliessen via Bildungsplan bereits in die Ausbildung ein, aber es wäre mir lieber – und es wäre dringend nötig –, wenn wir zukunftsorientierter ausbilden könnten. Wir müssen z.B. Trends, auch technologische, antizipieren können und in unsere Ausbildung einbauen.
Ausbildungsberufe bei der AMAG
Einen Lernenden auszubilden, kostet viel Geld. Zudem braucht die Betreuung auch Zeit von anderen Angestellten. Wieso bildet die AMAG trotzdem so viele Lernende aus? Wir könnten doch auch fertig ausgebildete Profis einstellen?
Ohne Lernende könnte die AMAG gar nicht funktionieren. Die Lernenden sind nicht nur ein Kostenfaktor, sondern arbeiten auch produktiv. Die Kosten-Nutzen-Analyse, welche bei allen Berufen durchgeführt wurde, ergab ein äusserst positives Bild. Schliesslich ist es günstiger, den eigenen Nachwuchs selber auszubilden, als Mitarbeitende aufwändig zu rekrutieren. Man bedenke, wie viel Zeit in die Auswahl eines Kandidaten investiert wird und wie lange er oder sie dann noch eingearbeitet werden muss. Wir versuchen, so viele Lernende wie möglich nach ihrer Ausbildung bei uns zu behalten. Momentan können wir mehr als die Hälfte der Lernenden nahtlos weiterbeschäftigen. Drei Viertel der Absolventinnen und Absolventen werden für eine Weiterbeschäftigung aber empfohlen.
Übrigens dürfen wir nicht vergessen: Wir leisten mit der Ausbildung auch einen Beitrag an die Gesellschaft. Die duale Bildung funktioniert nur, wenn alle ihren Teil dazu beitragen. Der soziale Gedanke spielt meines Erachtens ebenfalls eine wichtige Rolle.
Du bist im Dezember 2016 zur AMAG gestossen und hast die neu geschaffene Stelle als Leiter Berufsbildung übernommen. Was genau ist deine Aufgabe?
Dass man die Stelle überhaupt geschaffen hat, zeigt, dass die AMAG die Berufsbildung sehr ernst nimmt und sie strategisch wichtig ist. Die Berufsbildung funktioniert bei der AMAG gut, das zeigt zum Beispiel der gewonnene Bildungspreis. Meine Aufgabe ist es, sie weiter zu professionalisieren und strategisch weiterzuentwickeln. Seit dem 1. Januar 2019 stehen unseren Berufs- und Praxisbildenden sowie Lernenden sieben HR-Beraterinnen und -Berater Berufsbildung zur Verfügung.
Ihre Hauptaufgaben umfassen die Rekrutierung von Lernenden sowie die Personaladministration von der Anstellung bis zum Aus- oder Übertritt in eine Festanstellung. Ausserdem unterstützen sie die Linie, das heisst die Berufs- und Praxisbildende, beim Berufsbildungsmarketing, bei der Dokumentation der Ausbildung und bei der Übernahme nach der Lehre. Mit diesen Massnahmen können diese entlastet werden und sich auf ihre Kernaufgabe als Berufs- und Praxisbildende konzentrieren: die Ausbildung unserer Lernenden.
Jetzt auf (Schnupper-)Lehrstelle bewerben: future.amag.ch
Zu Besuch im Parts Competence Center (PCC) Buchs ZH
Ein Austausch von Lernenden ist bei der AMAG nicht neu. Sergio Pereira, PCC Verkaufsberater, schloss seine Lehre vor einem Jahr in Crissier erfolgreich ab und wurde bei der AMAG weiterbeschäftigt. Während seiner Ausbildung arbeitete er sechs Wochen im Parts Competence Center in Buchs ZH und konnte dabei seinen Horizont erweitern.
Weshalb hast du den Austausch gewünscht?
Sergio Pereira: Ich wollte in erster Linie meine Deutschkenntnisse verbessern. Zudem wollte ich wissen, inwiefern sich die PCCs Crissier und Buchs unterscheiden.
Das ging alles ziemlich schnell und unkompliziert. Im September habe ich meinen Wunsch geäussert, mein Vorgesetzter Lucien Mayor hat mit den Kollegen in Buchs alles koordiniert. Die AMAG hat mir ein Hotelzimmer gebucht und die Kosten für die Zugfahrten übernommen. Ich war jeweils drei Tage pro Woche in der Deutschschweiz. Jede Woche besuchte ich dabei eine andere Abteilung im PCC, um alle Facetten kennenzulernen. Die restlichen Tage verbrachte ich in Lausanne, um die Schule zu besuchen.
Wie hat dir der Austausch gefallen?
Es war eine sehr lehrreiche und interessante Erfahrung. Das PCC in Buchs ist deutlich grösser und vielseitiger. In Crissier wickeln wir vor allem Bestellungen von Ersatzteilen ab, in Buchs kommen auch andere Artikel wie z.B. Bekleidung, Farben oder Reifen hinzu. Mir ist aufgefallen, dass es in Buchs viel mehr Abteilungen gibt, die sich jeweils auf ein Thema spezialisieren. In Crissier sind wir eher Allrounder. Zudem konnte ich meine Deutschkenntnisse merklich verbessern. Zusammen mit den anderen Lernenden in Buchs erkundete ich zudem die Stadt Zürich. Die Stadt hat mich sehr beeindruckt. Besonders gut hat mir die Aussicht vom Prime Tower gefallen. Ich war positiv überrascht und kann jedem Lernenden empfehlen, während der Ausbildung in einem anderen Betrieb zu arbeiten. Ich habe ein besseres Verständnis für die Abläufe in der AMAG und habe vor allem neue Kontakte geknüpft.