Herr Aerni, das CCRS hat das Jurierungsverfahren für den Family Business Award erstellt. Können Sie uns erklären, wie das Beurteilungsverfahren abläuft?
Mein Vorgänger hat das Jurierungsverfahren damals entwickelt. Beim Family Business Award bewerben sich immer top Kandidaten aus der ganzen Schweiz. Das erste Jurytreffen findet im Frühling statt, wo die Dossiers, welche alle Auflagen erfüllen, diskutiert werden. An diesem Meeting werden drei oder vier Finalisten erkoren, welche dann im Sommer von der Jury persönlich besucht werden. Anhand dieser Besuche wird das Gewinnerunternehmen identifiziert und im September an einer festlichen Preisverleihung gekürt.
Auf was achtet die Jury bei der Beurteilung besonders?
Es muss auf jeden Fall ein Familienunternehmen sein, welches mindestens in der zweiten oder dritten Generation geführt wird. Bei einer Holding muss der Zusammenhalt sichtbar sein. Dort kann es beispielsweise nicht sein, dass diese zwischen Brüdern aufgeteilt ist, die nichts mehr miteinander zu tun haben. Wir schauen auch darauf, wie das Familienunternehmen für die Zukunft aufgestellt ist und welche Innovationen mit positiven Nachhaltigkeitseffekten geschaffen wurden. Schlussendlich werden natürlich auch die Finanzen geprüft. Die Schwierigkeit in der Beurteilung ist die Gewichtung aller Aspekte.
Sie sind selbst Jurymitglied beim Family Business Award. Was bedeutet für Sie persönlich unternehmerische Nachhaltigkeit?
Zukunftsorientiert sein, heisst für mich in erster Linie unternehmerische Nachhaltigkeit. Ein Unternehmen sollte für den Wandel vorbereitet sein und ein dynamisches Verständnis für Nachhaltigkeit haben. Denn das Nachhaltigkeitsempfinden verändert sich stets. Das, was in den 70er Jahren als nachhaltig empfunden wurde, gilt heute in vielen Bereichen nicht mehr als nachhaltig. Daher ist es wichtig, Nachhaltigkeit nicht als Glaubensfrage zu verstehen, was insbesondere im Bio-/und Fairtrademarketing suggeriert wird. Die ersten bekannten Biolabels sind in den 1980er Jahren entstanden und haben sich seitdem kaum weiterentwickelt, denn «Bio» soll ja primär den Konsumenten signalisieren, dass sie mit dem Kauf einen Beitrag für eine nachhaltigere Welt und ihre eigene Gesundheit leisten. Ob dieser Anspruch in Anbetracht der heutigen Kenntnisse aus der Forschung immer noch zutrifft, ist fragwürdig aber eigentlich irrelevant, denn es geht ja primär um das unzweideutige wohlige Gefühl das Gute gewählt zu haben. Daraus ist auch ein Geschäftsmodell entstanden von dem die Grossverteiler ungern abweichen wollen. Nachhaltigkeit hat jedoch mehr mit Innovation als mit Marketing zu tun. Es geht darum die Massenmärkte nachhaltiger zu machen und nicht bloss Nischenmärkte für wohlhabende Konsumenten zu schaffen.
Hat Nachhaltigkeit als Strategie überhaupt Zukunft?
In Politik und Wirtschaft ist Nachhaltigkeit zu einem defensiven Begriff geworden. Man will bewahren und schützen, ja keine Veränderung. Denn diese birgt Risiken und Risiken sind nicht nachhaltig. Aber der Wandel kommt unweigerlich, man kann die Zeit nicht einfrieren. Wir vom CCRS sehen im Wandel eine Chance und versuchen, ein neues Nachhaltigkeitsdenken zu fördern, dass kontextbasiert und dynamisch ist. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die Schweiz mit grossen sozialen und ökologischen Problemen konfrontiert. Dass es uns heute besser geht, hat viel mit der Tatsache zu tun, dass die Leute damals die Probleme mit Innovation auf effektive Weise bewältigen konnten und somit die Grundlage für eine nachhaltige Zukunft gelegt haben. Heutige Generationen profitieren nach wie vor von den Leistungen unserer Vorgänger und irgendwann, werden wir mit der Frage konfrontiert werden, ob wir tatsächlich eine bessere Welt für unsere Nachkommen schaffen indem wir bloss den Wandel regulieren anstatt ihn auf unternehmerische Weise mitzugestalten.
Welche unternehmerischen Werte hat die bisherigen Gewinner ausgezeichnet? Gibt es eventuell Gemeinsamkeiten?
Bei der in der Weinproduktion tätigen Rouvinez Gruppe aus Sierre hat uns fasziniert, wie die Familie moderne Technologien nutzt um zu einer Art Dienstleistungsunternehmen für die Kleinbauern im Wallis zu werden, die sie mit ihrer Weinernte beliefern. Sie stellen ihren Weinbauern Instrumente und Daten zur Verfügung, welche die Produktivität und die Qualität ihrer Anbauprodukte verbessern und somit auch ihr Einkommen steigern. Dieses zukunftsgerichtete Geschäftsmodell, welche die kleinstrukturierte Landwirtschaft wettbewerbsfähig und ressourceneffizient macht, ist wegweisend für eine Schweizer Landwirtschaft, die auch finanziell nachhaltig ist.
Die Firma Wyon aus dem Appenzell hat mich als regional verankertes, aber global ausgerichtetes Unternehmen begeistert. Die Familie engagiert sich sehr in der Region, schafft Arbeitsplätze und erreicht mit ihren kosteneffizienten Batterien für Hörgeräte zugleich den Weltmarkt. Schweizer Werte werden hier täglich gelebt und die «warme» Ethik in der Unternehmenskultur, die sich konkret um die Anliegen ihrer Mitarbeitenden und ihren Familien sowie um die Kunden und ihre sich ständig verändernden Anliegen kümmert, unterscheidet sich von der «kalten Ethik» wie sie sich bei den Nachhaltigkeitslabels für Konsumenten oft manifestiert, denn diese appellieren mehr an das Ego als an das Gemeinwohl.
FRAISA SA aus dem solothurnischen Bellach hat zukunftsgerichtet in ihr Geschäft mit Präzisionswerkzeugen investiert und zugleich die Nachfolge auf pragmatische und vorbildliche Art geregelt. Hier ist einzigartig, dass sich die Gründerfamilie entschieden hat, den erfolgreichen Manager quasi in die «Familie zu adoptieren» und ihn somit zum Miteigentümer und Nachfolger zu machen. Dies ist sinnvoll, denn das langfristige Gedeihen der Firma sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass ein motivierter Nachfolger aus der eigenen Familie fehlt.
Von der Jucker Farm aus dem Zürcher Oberland habe ich zwar schon viel gehört, aber ich war ein wenig skeptisch, weil sie so oft in den Medien gehypt wurde. Der Besuch auf dem Betrieb in Seegräben hat mich dann aber überzeugt. Die Gebrüder Jucker sind innovative Macher, diversifizieren ihren Betrieb und expandieren. Sie gingen durch Ups and Downs und haben sich fehlende Kompetenzen durch Profis in die eigenen Reihen geholt. Die Juckers leben vor, wie erfolgreiches und umweltschonendes Unternehmertum ohne Direktzahlungen und gegen alle Widerstände und Regulierungen in der Landwirtschaft möglich sein kann. Das ist eine grossartige Nachhaltigkeitsleistung.
Alle Gewinner haben gemeinsam, dass sie einen engen Bezug zur jeweiligen Region aufweisen. Dennoch sind sie überregional, wenn nicht global ausgerichtet.
Gibt es einen besonderen Moment, welchen Sie während Ihrer bisherigen Zeit beim Family Business Award erlebt haben?
Natürlich ist die Preisverleihung als schöner Galaabend immer ein spezieller Moment mit den Finalisten und Preisträgern. Auch die Arbeit mit den Jurymitgliedern und der Austausch mit ihnen ist sehr wertvoll. Die Firmenbesuche bringen mich zudem in die verschiedensten Regionen der Schweiz und man kann immer wieder Neues entdecken. Speziell blieb mir natürlich der Besuch bei der FRAISA in Erinnerung, da ich im Nachbarsdorf in Solothurn aufgewachsen bin. Als kleiner Schulbub fuhr ich immer an diesem Betrieb vorbei, hatte aber keine Ahnung, was die da machen. Der Family Business Award hat mir ermöglicht, Einblick in diese Firma zu erhalten und zu entdecken, was für Juwelen in der Solothurner Industrielandschaft existieren.